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Leute aus dem Torf
Archäologische Moorforschung

Voraussetzungen

Moore überliefern durch die konservierende Wirkung des Torfs Materialien, die in trockenen Böden nur in seltenen Ausnahmefällen erhalten bleiben. Ganz besonders gilt das für organische Stoffe. Die Moorarchäologie nutzt Funde im Torf und in Mudden von Mooren als Urkunden. Sie versucht, diese Funde als Geschichtsquellen auszuwerten. Dabei erzielt sie einen relativ hohen Aussagewert. Möglich wird das, weil die Bestandteile des Torfs und in den Torf gelangte Dinge zeitlich geordnet abgelagert werden und gut konserviert erhalten bleiben. Beispielsweise Hölzer sind oft so gut konserviert, dass sie wie frisch bearbeitet wirken. Sie zeigen alle Bearbeitungs- und Nutzungsspuren und haben ihr ursprüngliches Maß nur wenig verändert. Moorfunde sind deshalb so wertvoll, weil sie viele Lücken im üblichen archäologischen Material ausfüllen.

Die Erhaltungsbedingungen in Regenmooren (»Hochmooren«) und Reichmooren (»Niedermooren«) sind jedoch stark unterschiedlich. Grund dafür sind chemische und auch mechanische Bedingungen, die ziemlich voneinander abweichen.

Regenmoore. In Regenmooren bleibt außer Holz auch anderes organisches Material wie Leder, Wolle, Haare, Wollgewebe, Pelze, Krallen, Hufe, Fingernägel, Körperhaut und viele innere Organe in äußerlich unverändertem Zustand erhalten. Knochen behalten ihre Form, werden jedoch im sauren Milieu entkalkt. Aufgelöst oder abgebaut werden dagegen Muskelgewebe, Fette und Textilien aus Leinen. Edelmetalle und Bronze bleiben im Regenmoortorf stets unverändert, während Eisen vergeht. Keramik wird im Regenmoortorf meist weich wie Butter. Gegenstände aus Stein findet man immer unverändert vor. Nur Granit kann im Torf mürbe werden.

Viele Funde im Regenmoortorf zeigen unmittelbar nach der Freilegung noch ihre eigene Farbe. Das gilt auch für Moorleichen. Mit dem Zutritt von Luft verändert sie sich aber in wenigen Minuten in das bekannte Schwarzbraun. Der Erhaltungszustand von Fundstücken hängt stark von der Geschwindigkeit ab, mit der sie in den konservierenden Torf eingebettet wurden. Die Einbettung muss schnell und vollständig erfolgen. Großflächige oder sehr leichte Körper dringen nicht von alleine in den Torf ein. Sie zerfallen mehr oder weniger vollständig an der Mooroberfläche. Erfolgte die Einbettung im Torf nur unvollständig, vergehen alle Körperteile, die der Luft ausgesetzt blieben. So erklären sich zum Beispiel Funde einzelner Hände oder einzelner, noch vom Schuh umgebene Füße.

Reichmoore. In Reichmooren kommt es zu völlig uneinheitlichen Einbettungsvorgängen und Erhaltungsformen. Beispielsweise Holz kann deshalb seine äußere Form entweder gut behalten haben, deutlich in der Substanz verändert sein oder manchmal auch ganz fehlen. Von tierischen und menschlichen Körpern bleiben stets nur die nicht entkalkten Knochen. Alle Weichteile und der Körperinhalt fehlen den »Niedermoorleichen«. Auch Wollgewebe und Leder zerfallen. Tongefäße bleiben fest, doch ihr organischer Inhalt fehlt.

 

Torfabbau und Moorarchäologie. Wo Torf abgebaut wurde, stieß man auch auf archäologische Moorfunde. Vermutlich ist vieles davon durch Unkenntnis oder Gleichgültigkeit verloren gegangen. Solange aber der Torf in Handarbeit gewonnen wurde, fielen auch kleine und wenig widerstandsfähige Objekte auf. Sie wurden in der Vergangenheit dann meist der archäologischen Bearbeitung zugänglich gemacht. Heute dagegen gibt es kaum noch Fundmeldungen aus Mooren. Grund dafür ist vor allem der Einsatz von Maschinen beim Torfabbau. Es gilt als sicher, dass seither auch so manche Moorleiche völlig unbemerkt mit in den Torf verknetet wurde.

 

Merkenswertes

 

Wann konserviert Moor?

Die konservierenden Bedingungen in Mooren sind eng an deren Natürlichkeitsgrad bzw. ihren Erhaltungszustand gebunden. Die konservierende Wirkung ist nämlich nur dann gegeben, wenn

  • ihr Wasserhaushalt unverändert geblieben ist,
  • ihr Torf nicht durchlüftet ist und
  • sie auch stofflich nicht verändert wurden.

Verändern sich diese Faktoren, beginnen sich die im Torf eingeschlossenen Materialien bald zu zersetzen. Das ist in unseren Moorresten in dramatischem Ausmaß der Fall. Denn unsere verbliebenen Moore sind, sofern sie nicht gleich ganz beseitigt wurden, durch moderne Nutzungsmethoden, Entwässerung, Abbau, Tiefpflügen oder Aufbringen moorfremder Stoffe meist stark gestört. Damit ist auch ihre Archivfunktion nicht länger gewährleistet.

 

 

Archäologische Funde im Regenmoor

Die Liste von Dingen, die in Museen als archäologische Moorfunde ausgestellt werden, ist sehr lang. Intakte Moore fungieren damit als ausgezeichnete Geschichtsarchive. Die wichtigsten Fundgruppen sind

  • Werkzeuge,
  • Waffen,
  • Gerätschaften für den Haushalt, zum Torfstechen, zum Fischfang undzur Jagd,
  • Reste von Jagdtieren und von Nahrungspflanzen,
  • Schiffe,
  • hölzerne Wagenteile (Räder, Achsen etc.),
  • Schmuckstücke,
  • Kultgegenstände (z.B. hölzerne Götterfiguren),
  • Textilien,
  • Zeugnisse von Wohnstätten in Zelten, Hütten und Häusern,
  • Bohlenwege und andere Anlagen zum Passierbarmachen von Mooren,
  • Menschliche Leichen (Moorleichen)

Es würde den Rahmen dieser Lerneinheit sprengen, auf alle diese Moorfunde näher einzugehen. Eine Ausnahme sollen menschliche Moorleichen machen.

 

Menschliche Moorleichen

Man kann Moorleichen bis heute nicht planmäßig suchen. Die allermeisten wurden nur zufällig beim Torfstechen gefunden. Der Erhaltungszustand von Moorleichen kann sehr unterschiedlich sein. Manche Moorleichen können bei der Auffindung so verblüffend gut konserviert vorliegen, dass man ihnen in das fast unveränderte Gesicht schauen kann. Im ungünstigsten Fall wird nur noch die leere Körperhaut gefunden oder das in seine Einzelteile zerfallene Skelett.

Der Mann von Grauballe (Jütland, Dänemark), ein weiterer bedeutender Moorleichenfund.

Der Mann von Grauballe (Jütland, Dänemark).

© Sven Rosborn (2008)

Meist wurden unter den Bedingungen des Regenmoores Muskeln und Körperfette aufgelöst. Nur unter ganz besonders günstigen Umständen blieb Knorpelgewebe erhalten. Dann behielten Ohren und Nase einer Moorleiche ihre Form. Gut konserviert werden überwiegend die Körperhaut, innere Organe, Speisereste in Magen und Darm, Haare, Finger- und Zehennägel. Man kann daran viele Einzelheiten erkennen. Grund dafür ist ein Gerbprozess, den verschiedene Säuren im Moorwasser bewirken. Die Konservierung wird durch Luftabschluss und nasse Lagerung noch begünstigt. Das Fehlen der Muskulatur lässt die Körperhaut einer Moorleiche meistens stark zusammengedrückt erscheinen. Knochen und Zähne werden im sauren Moormilieu bald entkalkt, behalten aber weitgehend ihre Form. Für Archäologen und Kriminalisten wichtig ist, dass sich an Moorleichen Verletzungen oft eindeutig erkennen lassen.

Präparation von Moorleichen. Bei ihrer Bergung aus dem Torf sind Moorleichen wassergesättigt. Oft ist ihre Haut dann noch so weich wie feinstes Leder. Aber einmal dem schützenden Moor entnommen, trocknen die Körper rasch ein, verändern sich stark, verschimmeln oder verwesen. Will man sie dauerhaft erhalten, müssen umgehend konservierende Maßnahmen ergriffen werden.

Früher wurden die Moorleichenfunde hierzu in Öfen getrocknet oder gegerbt. Es folgte eine stabilisierende Behandlung mit Ölen oder Teerstoffen. Unvermeidliche Folge waren dabei stets starke, irreversible Veränderungen der Körper. Moorleichen im Museum sehen deshalb oft ganz anders aus als beim Fund. Nur selten wurden Moorleichen in einer Konservierungsflüssigkeit aufbewahrt, etwa in einem Gemisch aus Formalin, Glycerin und Wasser wie in der folgenden Abbildung.

Überreste eines gewaltsam getöteten, etwa siebeneinhalb Jahre alten Jungen aus dem Moor bei Kayhausen. Die Leiche war mit Stoffstreifen gefesselt und ist offensichtlich vom Mörder im Moor versenkt worden. Sie wurde 1922 beim Torfstechen gefunden und als Nasspräparat konserviert. Datierung des Todeszeitraums auf 400-100 Jahre v. Chr. (vorrömische Eisenzeit).

Überreste eines gewaltsam getöteten, etwa siebeneinhalb Jahre alten Jungen aus dem Moor bei Kayhausen.

© Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (2010)

Heute werden Moorleichenfunde meist einer kontrollierten Gefriertrocknung unterzogen. Eine Durchtränkung mit Polyethylenglykol vermindert dabei die zwangsläufig eintretende Schrumpfung. Oder es wird versucht, die Funde unter den gleichen Bedingungen wie im Moor zu lagern. Hierzu werden sie gekühlt und mit Torf und Wasser von der Fundstelle aufbewahrt.

Offene Fragen. Häufig kann man an Moorleichen Indizien finden, aus denen sich zweifelsfrei gewaltsame Todesumstände herleiten lassen. Rund ein Drittel aller bekannten Moorleichen sollen Spuren gewaltsamer Tötung aufweisen. Doch die Grenze des Erkennbaren wird dann überschritten, wenn man versucht, das Motiv der Tötung zu ermitteln. Oder auch, wie der Körper in das Moor gelangt ist. Das ist mit archäologischen Mitteln allenfalls in Ansätzen möglich. Die Art der Tötung kann klar erkennbar sein, beispielsweise Erstechen, Erwürgen oder Erhängen, Ertränken, Erschlagen, Enthaupten oder das Durchschneiden der Kehle . Nicht sichtbar bleibt aber stets das Motiv solcher Taten. Denkbar wären etwa Mord, Raubmord, Opferung, Tötung im Kampf, Hinrichtung oder Selbsttötung. Lediglich Beisetzungen im Moor lassen sich archäologisch ermitteln. Indizien hierfür sind eine eindeutige Körperhaltung, ein vorgefundener Sarg oder andere klare Befunde wie etwa Grabbeigaben.



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