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Leute aus dem Torf
Archäologie im Moor

Was sind Archäologen?

Archäologen sind Altertümerforscher. Sie interessieren sich für alles, was Menschen im Lauf der Zeit hinterlassen haben. Ihr Ziel ist die Erforschung der kulturellen Entwicklung des Menschen. Moorarchäologie ist ein Spezialgebiet der Altertümerforschung. Sie beschäftigt sich mit der Erforschung von vorgeschichtlichen Menschen, Werkzeugen und Gerätschaften, die in Mooren über viele Jahrhunderte konserviert wurden.

Das aufregendste Kapitel der Moorarchäologie sind natürlich die Moorleichen. Bis heute sind aus etlichen Ländern insgesamt wohl einige hundert Moorleichenfunde bekannt geworden. Die heutigen Moorarchäologen arbeiten bei der Untersuchung von Moorleichen eng mit Gerichtsmedizinern und Wissenschaftlern anderer Disziplinen zusammen. Mit modernster Technik und Computerunterstützung schaffen sie es manchmal, den Moorleichen erstaunliche Details zu entlocken. Sogar eine wissenschaftlich begründete Gesichtsrekonstruktion ist bei manchen Verstorbenen aus dem Moor heute möglich. Wenn du möchtest, kannst du dir am Beispiel von zwei Moorleichen aus Niedersachsen einen Eindruck von Ergebnissen der Moorleichenforschung verschaffen.

 

Der Junge aus dem Moor bei Kayhausen

Auffindung Am 3. Juli 1922 stieß der Torfstecher Roggemann bei seiner Arbeit im Kayhausener Moor bei Bad Zwischenahn auf die Leiche eines Kindes. Es lag ausgestreckt auf dem Rücken. Vom Körper war nur ein fast weißer Hautschlauch übriggeblieben, der auf 5-8 cm flachgedrückt war.

Überreste eines gewaltsam getöteten, etwa siebeneinhalb Jahre alten Jungen aus dem Moor bei Kayhausen. Die Leiche war mit Stoffstreifen gefesselt und ist offensichtlich vom Mörder im Moor versenkt worden. Sie wurde 1922 beim Torfstechen gefunden und als Nasspräparat konserviert. Datierung des Todeszeitraums auf 400-100 Jahre v. Chr. (vorrömische Eisenzeit).

Überreste eines gewaltsam getöteten, etwa siebeneinhalb Jahre alten Jungen aus dem Moor bei Kayhausen. Die Leiche war mit Stoffstreifen gefesselt und ist offensichtlich vom Mörder im Moor versenkt worden. Sie wurde 1922 beim Torfstechen gefunden und als Nasspräparat konserviert. Datierung des Todeszeitraums auf 400-100 Jahre v. Chr. (vorrömische Eisenzeit).

© Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (2010)

Bei der Leiche befanden sich Wollgewebe und Stücke eines Pelzumhangs. Roggemann legte die Moorleiche vollkommen frei. Bei der Bergung rissen allerdings beide Hände ab, die noch im Torf steckten. Dann brachte der Torfstecher die Moorleiche auf seiner Schubkarre nach Bad Zwischenahn und lagerte sie in einem Gasthof. Von dort gelangte sie nach einigen Tagen in das Staatliche Museum für Naturkunde und Vorgeschichte in Oldenburg. Nach einer ersten Untersuchung durch einen Arzt wurde der Leichenfund dann dauerhaft in eine Konservierungsflüssigkeit eingelegt. Bis heute sind die Überreste des Kindes in längeren Abständen (1922, 1952, 1996) mehrfach intensiv untersucht worden. Bei der letzten Untersuchung wurde auch die Kernspintomografie eingesetzt.

Vorbereitung der Moorleiche von Kayhausen für eine moderne gerichtsmedizinisch-archäologische Untersuchung. Untersuchung der Moorleiche von Kayhausen im Kernspintomographen

Vorbereitung der Moorleiche von Kayhausen für eine moderne gerichtsmedizinisch-archäologische Untersuchung.

© Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (2010)

Untersuchung der Moorleiche von Kayhausen im Kernspintomographen

© Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (2010)

Befunde.Es handelte sich um einen Jungen, der zwischen 1,20 und 1,35 m groß war. Er hatte dunkelblonde Haare. Sein Alter betrug höchstens siebeneinhalb Jahre. Der Todeszeitpunkt konnte auf das 4. bis 1. Jahrhundert vor Christus datiert werden. Er lebte also in der Eisenzeit und starb vor rund 2.300 Jahren. Das Gesicht des Jungen und Teile des Schädels fehlen. Muskulatur und Fettgewebe sind aufgelöst, die entkalkten Knochen sind aufgeweicht und verformt. Seine Unterarme waren mit einer komplizierten Vorrichtung aus zwei Streifen Wollstoff auf den Rücken gefesselt. Weitere Stoffstreifen waren um Hals und Füße verknotet. Sein Umhang aus Kalbfell hatte zum Zusammenbinden der Füße gedient.

Am Hals fand man drei parallele Messereinstichstellen. Eine weitere, etwa 4 cm lange Stichwunde befindet sich vorn am linken Oberarm. Du kannst sie in der obersten gut erkennen. Der Bauchbereich des Jungen weist eine größere Verletzung auf. Im Magen fand man u.a. Apfelkerne. Sie lassen Rückschlüsse auf die letzte Mahlzeit und einen Todeszeitpunkt im Herbst oder Winter zu. Die Röntgenuntersuchung zeigte, dass der Junge eine entzündliche Vereiterung am rechten Oberschenkelkopf überstanden hatte. Sie führte jedoch zu einer Versteifung des Hüftgelenks, was ihm ziemliche Gehprobleme verursacht haben muss. Am linken Schienbeinknochen wurden »Harris-Linien« sichtbar. Sie deuten auf wiederkehrende Wachstumsstörungen in Folge von Mangelernährung oder Krankheiten hin.

Deutung. Der Grund für die Tötung des Jungen lässt sich aus den bisher vorliegenden Ergebnissen nicht erkennen. Es bleibt damit offen, ob er einem Verbrechen zum Opfer fiel oder in einer Auseinandersetzung starb, ob er hingerichtet oder geopfert wurde. Die Fesselung und Verschnürung des Jungen wurde erst nach seiner Tötung angebracht. Sie diente vermutlich als Tragevorrichtung zum Transport ins Moor. Dort wurde er wohl in ein Moorgewässer geworfen und mit einer Stange in den weichen Gewässerboden hineingedrückt. Darauf lässt die große Verletzung am Bauch schließen. Auch Bekleidungsteile, die nicht zur Verschnürung benutzt worden waren, wurden zusammen mit der Leiche versenkt.

Aufbewahrung. Der Junge von Kayhausen befindet sich heute im Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg. Dort wird er als Nasspräparat aufbewahrt und hat die Inventarnummer OL 5935. Sein Fellumhang und weitere Informationen zum Fund des Jungen finden sich in der dortigen Dauerausstellung.

 

Der Mann von Husbäke

Auffindung. Am 15. Oktober 1936 entdeckte der Torfstecher Brünthen im Vehnemoor bei Edewecht nahe Husbäke in einer frisch gestochenen Torfwand Füße und Unterschenkel einer Moorleiche. Sie lag bis zu 1,45 m unter der damaligen Torfoberfläche. Er entfernte die Torfschicht über der Leiche und informierte die Polizei. Diese benachrichtigte sofort das Museum im nahe gelegenen Oldenburg. Einen Tag später wurde der Körper von Museumsmitarbeitern, zusammen mit dem darunter liegenden Torfblock, fachgerecht geborgen. Der Fund ist heute als »Mann von Husbäke« bekannt.

Die gut erhaltene männliche Moorleiche von Husbäke nach ihrer Auffindung im Jahr 1936. Der unbekleidete Körper liegt auf dem Bauch, der rechte Arm ist angewinkelt. Vorderansicht der eingetrockneten und schwarz verfärbten Moorleiche von Husbäke. Es handelt sich um einen etwa 17-20 Jahre alten jungen Mann. Der Brustkorb wurde um 1938 für eine Untersuchung der inneren Organe geöffnet.

Die gut erhaltene männliche Moorleiche von Husbäke nach ihrer Auffindung im Jahr 1936. Der unbekleidete Körper liegt auf dem Bauch, der rechte Arm ist angewinkelt.

© Museum Oldenburg, aus GÖTTLICH (1990; veränd.)

Vorderansicht der eingetrockneten und schwarz verfärbten Moorleiche von Husbäke. Es handelt sich um einen etwa 17-20 Jahre alten jungen Mann. Der Brustkorb wurde um 1938 für eine Untersuchung der inneren Organe geöffnet.

© Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (2010)

Die Moorleiche lag lang ausgestreckt auf dem Bauch. Der rechte Arm war angewinkelt, so dass die Hand oberhalb der Schulter ruhte. Der linke Arm lag mit abwärts gerichteter Handfläche unter der Körperseite. Die Haut war bei der Bergung gequollen und stark wasserhaltig. Sie war noch weich und hatte eine wachsweiße bis hellgraue Farbe. Bis auf die Füße war der Körper vollständig erhalten. Die Haare hatten sich unter den Moorbedingungen rotbraun verfärbt. Bei der Leiche wurden weder Kleider oder Gegenstände noch irgendwelche Reste davon gefunden. Das Museum hatte damals noch keine geeigneten Kühlmöglichkeiten zur Aufbewahrung der Leiche. Deshalb wurde der Mann von Husbäke trocken konserviert. Erst hierdurch erhielt die Haut ihre jetzt harte, lederartige Beschaffenheit und die fast schwarze Farbe.

Befunde. Bei der Bergung war der Erhaltungszustand der Moorleiche außerordentlich gut. Das lässt den Schluss zu, dass der Tote sehr schnell und vollständig unter die Mooroberfläche gelangt sein muss. Er war etwa 17-20 Jahre alt, rund 1,75 m groß und hatte einen gestutzten Oberlippen- und Kinnbart. Ansonsten war das Gesicht sorgfältig glattrasiert. Seine Haare waren ursprünglich leicht wellig bis lockig. Vom Körper der Leiche blieben nur entkalkte Knochen und Zähne, alle Fingernägel und Bindegewebe erhalten. Muskulatur und Fettgewebe sind dagegen vergangen. Der Schädel wurde durch den Druck der Torfschicht flachgedrückt. Ein Jahr nach der Trockenkonservierung wurde der Brustkorb des Toten durch einen Längsschnitt geöffnet, um die inneren Organe zu untersuchen. In seinem Magen fand man eine Fischgräte sowie Reste von Hirse- und Gerstenkörnern. Der Todeszeitpunkt konnte auf den Zeitraum zwischen 75 und 215 nach Christus datiert werden. Die Moorleiche hat also ein Alter von rund 1900 Jahren. Anzeichen einer Erdrosselung oder auffallende Verletzungen wurden nicht festgestellt. Das schließt aber nicht aus, dass solche doch bestanden haben. An der Universitätsklinik Bonn wurde der Körper computertomographisch untersucht. Nach diesen Ergebnissen ließ das Museum das Gesicht der Moorleiche rekonstruieren. Damit wird versucht, das mögliche Aussehen des Mannes von Husbäke zu Lebzeiten wiederzugeben.

So ähnlich könnte er zu Lebzeiten ausgesehen haben: Rekonstruktion des Gesichts des jungen Mannes von Husbäke (ca. 75-215 n. Chr.; römische Eisenzeit).

So ähnlich könnte er zu Lebzeiten ausgesehen haben: Rekonstruktion des Gesichts des jungen Mannes von Husbäke (ca. 75-215 n. Chr.; römische Eisenzeit).

© http://www.naturundmensch.de

Deutung. Aus der Haltung der Leiche ist zu schließen, dass der Körper noch lebend ins Moor gelangt ist. Um einen dort Verunglückten, wie zunächst angenommen wurde, handelt es sich aber offenbar nicht. Dagegen sprechen die horizontale Lage mit geschlossenen Beinen auf dem Bauch und der Befund, dass am Fundort weder ein Kolk noch eine tiefe, wassergefüllte Schlenke als Gefahrenquellen vorhanden waren. Damit ist ein Verunglücken durch Versinken oder Ertrinken auszuschließen. Auch wurde der Tote (oder Sterbende?) offenbar rasch mit Moospolstern aus der Umgebung abgedeckt. Das würde den guten Erhaltungszustand erklären. Es ist damit anzunehmen, dass der Mann von Husbäke am Ort seines Auffindens einen gewaltsamen Tod durch Menschenhand erfahren hat. Oder er ist bereits tot ins Moor gelangt. Hinzu kommt, dass schon 1931, nur acht Meter von diesem Fundort entfernt, eine weitere männliche Moorleiche in derselben Torfschicht geborgen wurde. Sie konnte aber nicht fachgerecht aufbewahrt werden und ist heute nicht mehr erhalten. Möglicherweise liegt bei beiden Männern die gleiche Todesursache vor. Aber welche?

Aufbewahrung. Der Mann von Husbäke befindet sich heute ebenfalls im Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg. Dort kannst du ihn in der Dauerausstellung besichtigen. Er hat die Inventarnummer OL 5933. Du erfährst dort auch viele weitere Details zu dieser Moorleiche und zum Stand der Moorleichenforschung.

Heute befindet sich die Moorleiche von Husbäke in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Natur und Mensch in Oldenburg. Im Gegensatz zur Fundsituation liegt sie dort auf dem Rücken.

Heute befindet sich die Moorleiche von Husbäke in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Natur und Mensch in Oldenburg. Im Gegensatz zur Fundsituation liegt sie dort auf dem Rücken.

© Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg (2010; veränd.)




© expedition-moor.de